Sprachlos in Thüringen: Paritätischer schlägt Modellprojekte für Kindersprachbrücke in Thüringen vor
Jena/Neudietendorf. Das Thüringer Schulsystem steht vor völlig neuen Herausforderungen: Allein im vergangenen Jahr kamen schätzungsweise 1000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter als Flüchtlinge nach Thüringen. Ihre Zahl könnte in diesem Jahr weiter steigen. Sie brauchen schnell guten Sprachunterricht in der Anfangszeit. Die Kindersprachbrücke in Jena, die auf diesem Gebiet über langjährige Erfahrungen verfügt, schlägt noch für dieses Jahr den Start eines Modellprojektes in einer städtischen und einer ländlichen Region vor.
Dabei sollen ausgebildete Fachkräfte auf Honorarbasis bzw. bei Trägern angestellt und unterstützt von qualifizierten Ehrenamtlichen ein flächendeckendes und kostengünstiges Unterstützungssystem nach dem Modell der Kindersprachbrücke schaffen. Vorbereitungsklassen an Schwerpunktschulen – wie z.B. in Sachsen üblich – könnten den Kindern beim Einstieg helfen.
Im nächsten Jahr könnten dann im Doppelhaushalt Mittel zur Verfügung gestellt werden, um das System auf ganz Thüringen auszudehnen. Wolfgang Volkmer, der Geschäftsführer der Kindersprachbrücke, schätzt die Gesamtkosten auf 1,5 Millionen Euro im Jahr. Damit könnte jedes neuzugewanderte Kind in Thüringen ausreichend gefördert werden. „Der Preis für sprachlose Kinder ist ungleich höher“, unterstreicht Volkmer. Unterstützung finden die Ideen der Kindersprachbrücke auch beim Paritätischen Thüringen.
Volkmer weist darauf hin, dass viele nach Deutschland zugewanderte Kinder eine regelrechte Odyssee hinter sich haben. Ihr Alltag ist geprägt von Fluchterlebnissen, beengten Wohnverhältnissen, verunsicherten Eltern und einer unsicheren Perspektive. Nach drei Monaten sind auch Flüchtlingskinder in Thüringen schulpflichtig. Volkmer: „Das Thüringer Bildungssystem wird seit einigen Jahren unter der Maßgabe ,Teilhabe für alle Kinder‘ umgebaut. Bisher wurden neu zugewanderte Kinder dabei aber zu wenig bedacht.“ Nahezu jede Grund-, Real- und Gemeinschaftsschule in Thüringen sei mit der Herausforderung konfrontiert, Kinder und Jugendliche ohne deutsche Sprachkenntnisse in der Schule aufzunehmen und zu fördern. „Viele Kinder haben große Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen, bekommen Kopfschmerzen, langweilen sich, stören“, so Volkmer. Er beklagt, dass ein einheitliches Konzept in Thüringen zur Sprachförderung von Flüchtlingskindern fehlt.
In Jena existiert ein solches Fördersystem. Der Verein Kindersprachbrücke, der in diesem Jahr bei seiner Arbeit auch durch die Spendenaktion „Thüringen sagt Ja zu Kindern“ unterstützt wird, hat allein im vergangenen Jahr mehr als 200 Kinder gezielt gefördert. Die Erfolge sind eindeutig: die Kinder finden sich schneller im Unterricht zurecht und lernen, sich auch im Alltag zu verständigen. Voraussetzung für diese Erfolge sind die enge Zusammenarbeit mit Schulen und Schulamt, der Integrationsbeauftragten sowie dem Jugend- und Sozialamt. „Dieses Modell könnte für ganz Thüringen Pate stehen, wenn sich das Land darauf einlassen würde, die Schulen mit Budgets auszustatten, um Fachkräfte in der Schule einzusetzen.“
Volkmer rechnet mit einer breiten Unterstützung einer landesweiten Ausdehnung der Kindersprachbrücken: Laut einer Allensbach-Studie aus dem Jahr 2013 befürworten 83 Prozent aller Eltern kostenlosen Sprachunterricht für Migrantenkinder auch als Beitrag zur Chancengerechtigkeit in der Schule. Und er nimmt die neue Landesregierung in die Pflicht. Volkmer verweist darauf, dass die neuen Koalitionspartner in ihrem Vertrag bereits festgeschrieben haben, die Sprachförderung zu gewährleisten.