Fast jeder fünfte Thüringer von Armut bedroht - Quote bleibt auf hohem Niveau
Neudietendorf, 28. August 2015. Fast jeder fünfte Thüringer ist von Armut gefährdet. Die Armutsgefährdungsquote verharrt im Freistaat weiter auf einem hohen Niveau. Nach den jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes waren im vergangenen Jahr 17,8 Prozent der ThüringerInnen durch Armut gefährdet. 2013 betrug die Quote 18 Prozent, so dass trotz guter Konjunkturentwicklung und eines guten Wirtschaftsjahres 2014 nur ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Für den Paritätischen belegen diese Zahlen, dass ein finanzpolitischer Kurswechsel auf Bundesebene hin zu einer offensiven Armutsbekämpfung notwendig ist. Wirtschaftswachstum und die insgesamt positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in Thüringen führten nicht zu einer Verringerung des Armutsrisikos, konstatierte Reinhard Müller, der Landesgeschäftsführer des Paritätischen bereits bei der Vorlage des Paritätischen Berichts über die regionale Armutsentwicklung in Deutschland im Februar. Dieser Trend setzt sich offenbar weiter fort.
Alarmierend ist nach Einschätzung des Paritätischen vor allem die Entwicklung bei den Rentnern. Erstmalig sind auch Rentnerhaushalte (15,6 %) überdurchschnittlich von Armut betroffen. „Das Bild, wonach es den Rentnerhaushalten in Deutschland im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung noch sehr gut ginge, hat sich mit den neuen Zahlen endgültig erledigt", stellt der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, fest „Die Quote der altersarmen Rentnerinnen und Rentner hat seit 2006 mit 51 Prozent so stark zugelegt wie bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe. Politik und Öffentlichkeit müssen sich endlich der Tatsache stellen, dass eine Lawine der Altersarmut auf uns zurollt. Es sind Menschen, deren Einkommen häufig nur knapp über der Sozialhilfeschwelle liegt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Zahlen derer, die in Altersgrundsicherung fallen, auf ein hohes Niveau nachziehen“, so Schneider.
Der Verband fordert die Bundesregierung zu einem finanz- und steuerpolitischen Kurswechsel auf. Schneider: „Es müssen endlich die notwendigen Milliarden bereitgestellt werden, die wir brauchen, um Armut in Deutschland wirkungsvoll zu bekämpfen.“ Schwerpunkte dabei müssten der Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, der Ausbau von Hilfen für Alleinerziehende, bessere Teilhabe- und Bildungsmöglichkeiten für Kinder aus armen Haushalten sowie eine bedarfsgerechte Anpassung der Regelsätze bei Hartz IV und in der Sozialhilfe sein. Auch in der Alterssicherung seien schnellstmöglich die Weichenstellungen zur Vermeidung künftiger Altersarmut vorzunehmen.
Mit Besorgnis schauen auch die Thüringer Sozialdemokraten auf die Zahlen aus Wiesbaden. Bei den über 65-Jährigen liegt die Armutsgefährdungsquote für Thüringen bei 13,5 Prozent, bei den Geringqualifizierten bei 47,4 Prozent. Die Vorsitzende des Sozialausschusses, Birgit Pelke (SPD) forderte weitere Anstrengungen, um die Zahlen künftig zu senken. „Wir haben bereits vor Jahren davor gewarnt, dass Menschen, die nach der Wende nur noch schlecht bezahlte Jobs bekamen oder lange Zeiten der Arbeitslosigkeit hinnehmen mussten, von Altersarmut gefährdet sind. Unsere Befürchtungen bestätigen nun die aktuellen Zahlen“, so Pelke.
Als armutsgefährdet gelten gemäß der Definition der Europäischen Union Menschen, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Einkommen (Median) der Bevölkerung in Privathaushalten auskommen müssen. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus galten im Jahr 2014 beispielsweise Einpersonenhaushalte mit einem monatlichen Einkommen wenoger als 917 Euro als armutsgefährdet.
Besonders hoch ist die Armutsquote nach den Zahlen der Studie des Paritätischen zur regionalen Armutsentwicklung in Deutschland aus dem Februar mit 19,2 Prozent in Nordthüringen. Bei den nach Planungsregionen aufgeschlüsselten Zahlen für den Freistaat folgen Mittelthüringen (18,8 Prozent), Ostthüringen (18,2 Prozent). Südthüringen liegt mit 15,8 Prozent deutlich unter dem landesweiten Schnitt. Im bundesweiten Länderranking kommt Thüringen auf Rang 11.
Die regionale der Kinderarmut in Thüringen zeigt eine deutliche Spreizung. Besonders hoch ist sie in Gera und in Erfurt. In Gera liegt die Zahl der unter 15-Jährigen, die in Familien leben, die auf Hartz IV oder Sozialhilfe angewiesen sind, bei 29 Prozent. In Erfurt sind es 25,5 Prozent, in Nordhausen 24 Prozent, im Kyffhäuserkreis 23,8 Prozent, im Altenburger Land bei 23,4 Prozent, in Eisenach 23,4 Prozent und im Unstrut-Hainich-Kreis 20,4 Prozent. Dagegen leben im Eichsfeldkreis nur 9,2 Prozent der Kinder in Familien, die auf Hartz IV oder Sozialhilfe angewesen sind. Auch im Wartburgkreis (10,2 Prozent) oder im Landkreis Sonneberg (11,5 Prozent) liegt die Kinderarmutsquote deutlich unter dem Landesschnitt von insgesamt 17 Prozent.
Das höchste Armutsrisiko von allen Haushalten zeigen nach dieser Studie deutschlandweit Alleinerziehende mit 43 Prozent.
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