Paritätischer: Thüringen muss den Weg in die interkulturelle Gesellschaft antreten
Neudietendorf, 4. Januar 2016. Die Integration der Flüchtlinge stellt speziell für die ostdeutsche Gesellschaft eine besondere Herausforderung dar. „Wir müssen aber den Weg in die interkulturelle Gesellschaft finden“, zeichnet der Landesgeschäftsführer des Paritätischen, Reinhard Müller, die seiner Einschätzung nach einzig mögliche Zukunftsperspektive für die ostdeutschen Bundesländer auf. „Wir müssen Schwung nehmen und die Zuwanderung als eine lohnende Investition in die Zukunft ansehen“, mahnt Müller zu Optimismus in der Flüchtlingsdebatte. Der engagierte Sozialpolitiker sieht die besondere Problematik für die ostdeutsche Gesellschaft in der bisher eher geringen Quote ausländischer Mitbürger, die hier leben. In Thüringen sei die Quote in den vergangenen Jahren auf gerade einmal 2,5 Prozent (Stand November 2015) angestiegen, so Müller. Der Weg in die interkulturelle Gesellschaft sei deshalb für die Menschen in Ostdeutschland weiter als für Großstädte in Westdeutschland, in denen schon seit vielen Jahren deutlich mehr ausländische MitbürgerInnen lebten.
Müller verwies auf die wesentlichen Vorteile einer interkulturell geprägten Gesellschaft: Der Kontakt zu anderen Kulturen mache die Menschen weltläufiger und offener, stärke die Bereitschaft zur Mobilität und das internationale Denken, gerade in weltpolitischen Problemlagen. Zudem seien Deutschland und Thüringen auf die Zuwanderung von Fachkräften angewiesen.
Der Landesgeschäftsführer des Paritätischen sieht allerdings auch die Notwendigkeit, die Integrationskraft des Staates deutlich zu stärken und weist auf Versäumnisse der Vergangenheit hin. „Ein finanziell gut ausgestatteter und deshalb auch gestalterisch starker Staat kann das, aber in den letzten Jahren wurden die Anstrengungen und Projekte in den Bereichen soziale und kulturelle Integration eher abgebaut als gestärkt“, kritisiert Müller. Diese Rotstift-Politik falle den Verantwortlichen heute auf die Füße.
Müller macht derzeit gute Chancen aus, diesen Trend umzukehren. „Wir müssen die jetzt auf den Weg gebrachten Integrationsleistungen als Schub für eine solidarische Gesellschaft nutzen“, so Müller. Als Beispiele nennt er das Wiederaufleben des Programms „Soziale Stadt“, die Unterstützung von quartiersbezogenen Projekten durch neue Bundesprogramme, die Sensibilität dafür, dass auch Beratungsleistungen wie Schuldner- oder Familienberatung ausgebaut werden müssen, die Notwendigkeit des Ausbaus der Schulsozialarbeit. Gute Ansätze müssten weiter ausgebaut werden. Als Beispiel nennt er die Weiterbildung zu Flüchtlingspaten. Diese braucht wie alle Angebote der Fort- und Weiterbildung von Ehrenamtlichen eine finanziell sichere Basis.
Müller ist sicher: „Eine solche Entwicklung lohnt sich auch aus wirtschaftlichen Gründen.“ Allerdings müsste dafür der Staat auch seine Einnahmebasis erhöhen.
Thüringen sollte auch die Chance nicht verpassen, über eine gelingende Gebietsreform die Verwaltungsstrukturen des Landes zukunftsfest aufzustellen, so Müller.
Eine solche Entwicklung hin zu einer solidarischen Gesellschaft kann könne nur gelingen, wenn die starke Bürgergesellschaft mit einbezogen werde. „Das darf aber nicht nur funktional geschehen, wenn es gerade opportun erscheint“, warnt Müller vor zu großem staatlichen Dirigismus. „Der Staat darf nicht die Zivilgesellschaft gestalten wollen, sondern beide müssen auf Augenhöhe miteinander agieren.“ Die vielfältigen Angebote der Sozialverbände müssten vom Land, wie zugesagt, ausreichend unterstützt werden. Die aus der Zivilgesellschaft hervorgehenden Ideen und Initiativen müssten ernst genommen werden.
Dringend notwendig ist nach seiner Einschätzung der Ausbau der Beratungstätigkeit, nicht nur in der Asylverfahrens- und Rückkehrberatung, sondern auch bei Schuldner-, Schwangerschaftskonflikt- sowie gesundheitlicher und psychologischer Beratung. Dort wächst nicht nur die Zahl derjenigen, die Hilfe suchen, sondern die BeraterInnen müssen sich auch auf völlig neue Fragestellungen einlassen. Die neuen und steigenden Bedarfe könnten nicht allein mit den vorhandenen Mitteln und Ressourcen aufgefangen werden. Zusätzliche Mittel seien allein schon deswegen notwendig, um eine Verdrängung bisheriger Ratsuchender zu verhindern.
Bei der Integration in den Arbeitsmarkt müssten ebenfalls die umfangreichen Angebote der Sozialwirtschaft berücksichtigt werden, so Müller.
„Wenn wir gemeinsam diese Herausforderung annehmen und diesen Weg in die interkulturelle Gesellschaft antreten, dann werden wir erfolgreich sein“, so Müller im Blick auf 2016.