Pflegende unter Druck - "Unfassbare Zustände an deutschen Krankenhäusern"
Neudietendorf, 20. Januar 2016. Leider bedurfte es wieder einer Undercover-Reportage, um auf die chronifizierten Probleme der Pflege in deutschen Krankenhäusern aufmerksam zu machen. Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbandes und Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Thüringen, verweist im Zusammenhang mit der spektakulären Reportage des "Teams Wallraff" bei RTL auf die langjährige Erkenntnis des „hausgemachten“ Personalmangels der pflegerischen Versorgung in den Krankenhäusern. So wurden unter ökonomischen Aspekten in den letzten Jahren bundesweit mehr als 40.000 Planstellen abgebaut. Immer weniger Fachkräfte müssen sich um immer mehr Patienten kümmern. Der Film hatte eklatanten Personalmangel, Arbeitsüberlastung und dramatische Hygienemängel aufgedeckt.
Höfert: "Bedingt durch den demografischen Wandel mit zunehmend älter werdenden Patienten ist die Anzahl von dementen (desorientierten) Patienten im Krankenhaus inzwischen auf 25 Prozent angestiegen. Darauf sind die Krankenhäuser immer noch nicht eingestellt; es fehlt an spezifischen Fachkräften mit gerontopsychiatrischer Qualifikation." Das Krankenhaus-Strukturreform Gesetz, seit 01. Januar 2016 in Kraft, zeige nur partikulare Verbesserungen durch ein Pflegestellenförderprogramm, so Höfert.
"Die Pflegenden in deutschen Krankenhäusern arbeiten bereits seit Jahren am Limit mit erheblichen gesundheitlichen Folgen. Gute Pflege bedeutet genügend Pflegepersonal, das ausreichend Zeit zur Verrichtung der Arbeit hat. Deutschland kann sich eine gute Pflege für alle Bürger leisten, tut es aber nicht - das wollen wir ändern. Wir fordern von Politik und Gesellschaft ein Umdenken zum Wohle der Pflegenden und Patienten", appelliert Höfert an die Verantwortlichen.
Dass dieses Umdenken notwendig ist, hat der Film belegt. Fazit: Viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Personal. Das ist Alltag an deutschen Kliniken, wie 'Team Wallraff'-Reporterin Pia Osterhaus bei ihrem Einsatz als Pflegepraktikantin schnell feststellen musste. Das Personal ist körperlich und psychisch oft am Limit. Darunter leidet nicht nur die medizinische und pflegerische Versorgung der Patienten. Es lässt einige Pfleger emotional abstumpfen. Nicht selten entlädt sich der aufgestaute Frust am Patienten: Der Ton ist in Extremsituationen - und die gibt es täglich - rau, gegenüber hilflosen Patienten wird sich im Ton vergriffen.
Der Grund liegt auf der Hand: In Deutschland ist eine Pflegekraft im Schnitt für zehn Patienten zuständig. Das ist viel zu viel. So kommen in Norwegen vier Kranke auf einen Pfleger, in den Niederlanden sind es fünf. Auf vielen deutschen Stationen kommt der Dienstplan offenbar nur zustande, weil von vornherein mit Überstunden geplant wird. Wie das vom Personal geleistet werden kann? "Indem über Kraftreserven hinausgearbeitet wird. Wir sind am Ende", sagt eine Krankenschwester im Gespräch zu Günter Wallraff.
Besonders fatal wirkt sich der Personalmangel in den Notaufnahmen der großen Klinkzentren aus. Die Zimmer sind oft hoffnunglos überfüllt, Patienten warten - teils unter starken Schmerzen - stundenlang auf den Gängen. "Gerade bei börsennotierten Betreibern, haben wir es mit wahren Effizienzmaschinen zu tun, die nicht uns Patienten verpflichtet sind, sondern den Aktionären", sagt der Volkswirtschaftswissenschaftler Prof. Stefan Sell. Zeit für ein paar tröstende Worte bleibt da nicht - und der Kranke sich mit seinen Ängsten selbst überlassen.
Auch bei der Hygiene wird gespart, wie Reporterin Pia Osterhaus während ihrer Recherche erfuhr. So wurden in einem Krankenhaus die Arbeitszeiten der Putzfrauen drastisch reduziert, die Folgen blieben nicht aus: Der Boden verdreckt, blutiges Arbeitsmaterial lag herum, verschmutzte Betten mit befleckten Laken einfach auf dem Flur abgestellt. Ohne Desinfektion wurden diese benutzten Tragen von einer Krankenschwester für die nächsten Patienten vorbereitet.
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