Ulrich Schneider: "Kompromiss zum Familiennachzug ein brutales und inhumanes Mittel der Abschreckung"
Neudietendorf/Berlin, 11. Februar 2016. „Eine politische Farce zu Lasten schutzbedürftiger Kinder und ihrer Familien.“ Mit diesen scharfen Worten kritisiert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Ulrich Schneider, den heute erzielten Koalitionskompromiss zum Familiennachzug unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz. Die Regierungskoalition Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Justizminister Heiko Maas (SPD) hatten sich darauf verständigt, dass der Familiennachzug generell ausgesetzt bleibt. Aber es kann Einzelprüfungen geben.
Diese Einzelfallprüfungen könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es generell und grundsätzlich bei der Verhinderung des Familiennachzugs für alle nicht individuell verfolgten, aber dennoch schutzbedürftigen Flüchtlinge, auch für unbegleitete Flüchtlingskinder bleibe, kritisierte Schneider. „Die Bundesregierung hat damit ein denkbar brutales und inhumanes Mittel der Abschreckung gewählt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. Er verwies darauf, dass die so genannte Einzelfallprüfung einen ungeheuren zusätzlichen psychischen Druck auf Kinder und ihre Familien ausübe. „Ganz offensichtlich geht es hier nicht um eine sachliche Lösung im Geiste der Humanität und der Menschlichkeit, sondern einzig um die Gesichtswahrung einzelner Politiker“, so Schneider.
Experten des Paritätischen hatten bereits darauf verwiesen, dass das Zusammenleben mit der Familie eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration in Deutschland sei. Die Aussetzung des Familiennachzugs sei insofern integrationsfeindlich. Sie gaben zu bedenken, dass nach deutschem Recht von einer gescheiterten Ehe nach einer einjährigen Trennungszeit ausgegangen werde. Den Flüchtlingen werde aber eine mindestens zweijährige Trennung zugemutet. Die Einschränkung der Familienzusammenführung werde dazu führen, dass Frauen und Kinder sich in weit größerem Maße als bisher auch auf den gefahrvollen Weg nach Europa machen würden, um hier mit ihrer Familie zusammenleben zu können.
Die Bundesregierung zeigte sich mit der Entscheidung zufrieden. „Wir haben eine vernünftige Lösung gefunden - ohne die Beschlüsse der Koalition zu ändern", teilte Maas mit. „Für schutzbedürftige minderjährige Flüchtlinge ermöglichen wir humanitäre Entscheidungen. Besondere Härten können wir nach einer Prüfung des Einzelfalles vermeiden." Der Weg für die Beratungen des Asylpakets II durch den Bundestag sei damit frei.
De Maizière sagte, ein schneller Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens sei wichtig, weil das Paket deutlich mehr enthalte als nur die Regelung zum Familiennachzug. „Verfahren werden enorm beschleunigt, Abschiebungen erleichtert und Fehlanreize genommen", betonte der Innenminister.
Nach Einschätzung politischer Beobachter zählt für die Koalition allein der Kompromiss. Michael Stempfle aus dem Hauptstadtstudio der ARD sieht das Ganze so: Wirklich durchgesetzt habe sich die SPD damit nicht- „Die Kuh ist vom Eis und das allein ist der Kompromiss", sagt er.
Zur Sache:
Subsidiärer Schutz
Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, erhält unter Umständen Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingsschutz ist dies der Fall, „wenn sein Leben oder seine Freiheit in seinem Herkunftsland wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist."
Einen eingeschränkten Status – „subsidiären Schutz" - erhalten dagegen Menschen, die nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention oder das deutsche Grundrecht auf Asyl fallen. Sie müssen zwar nicht in die Heimat zurück, etwa weil ihnen dort Todesstrafe oder Folter drohen oder Bürgerkrieg herrscht. Anders als Menschen mit Asyl- oder Flüchtlingsstatus bekommen sie aber zunächst nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr, die verlängert werden kann.
(Quelle: tagesschau.de)
Tags: Migration, Ulrich Schneider, Asylrecht, Subsidiärer Schutz