Armutsbericht 2016 des Paritätischen: Mehr als 350.000 Thüringerinnen und Thüringer sind von Armut betroffen
Erfurt/Neudietendorf, 23. Februar 2016. Mehr als 350.000 Menschen in Thüringen leben an oder unterhalb der Armutsschwelle. In den vergangenen Jahren hat sich die Armutsquote in Thüringen damit auf hohem Niveau stabilisiert. Das geht aus dem neuen Armutsbericht des Paritätischen hervor. Die Armutsquote sank demnach nur leicht von 18 Prozent im Jahr 2013 auf 17,8 Prozent im vergangenen Jahr. Im Vergleich der vergangenen fünf Jahre hat sich damit die Armutsquote verfestigt. 2010 lag sie bei 17,6 Prozent. „Die Entwicklung der Armut scheint sich von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums mehr oder weniger abgekoppelt zu haben“, kommentierte der Landesgeschäftsführer des Paritätischen, Reinhard Müller, die Zahlen. Thüringen liegt im bundesweiten Vergleich der Länder mit der Armutsquote an 11. Stelle und weist unter den jungen Bundesländern die geringste Armutsquote auf.
In den Thüringer Regionen stellt sich die Armutsentwicklung unterschiedlich dar. Am stärksten sind die Nordthüringer von Armut bedroht. Hier liegt die Armutsgefährdungsquote bei 19,4 Prozent, in Ostthüringen liegt sie mit 18,6 Prozent auch noch deutlich über dem Landesschnitt. Mittelthüringen liegt mit 17,4 Prozent leicht unter dem Landesschnitt, während Südthüringen mit 15,9 Prozent von Armut bedrohter Menschen die geringste Quote aufweist.
Am stärksten von Armut bedroht sind die Alleinerziehenden, die Erwerbslosen, die Familien mit drei und mehr Kindern sowie Menschen mit Migrationshintergrund und Rentnerinnen und Rentner. Die Armutsquote der Rentnerinnen und Rentner ist rasant gestiegen und liegt erstmals über dem bundesweiten Durchschnitt.
„Bei der Armutsgefährdung hat sich leider in den letzten neun Jahren so gut wie nichts bewegt“, bedauert Reinhard Müller – und das trotz alljährlich neuer politischer Diskussionen und Bekenntnisse zum Handlungsbedarf. Im Gegenteil: Die Armutsquote bei Alleinerziehenden, Menschen mit geringer Qualifikation und Erwerbslosen ist gegenüber 2005 sogar noch stärker gestiegen als die Armut insgesamt. In Thüringen ist die Armutsquote gegenüber dem vergangenen Jahr zwar um 0,2 Prozentpunkte leicht gesunken, ob der Negativtrend damit allerdins gestoppt sei, ist nach Meinung Müllers noch offen.
Als einkommensarm gelten für diese Berechnungen jede Person, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushalts, inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen. Als Armutsschwelle gelten für einen Single ohne Kinder 917 Euro, für eine Alleinerziehende mit einem Kind zwischen 6 und 14 Jahren 1192 Euro und für ein Paar mit zwei Kindern unter 6 Jahren 1926 Euro.
Müller verlangte einen sozial- und steuerpolitischen Kurswechsel, um Armut zu bekämpfen und eine Verringerung sozialer Ungleichheit zu erreichen. Vor allem im Bund müssten die Weichen umgestellt werden. Die Länder hätten nur begrenzte Möglichkeiten, die Armut erfolgreich zu bekämpfen, solange der Bund keinen Kurswechsel vornehme. Notwendig sind nach Ansicht des Paritätischen eine Reform der Alterssicherung, die Einführung einer Kindergrundsicherung, die Einführung einer sanktionsfreien und bedarfsgerechten Grundsicherung für Arbeitslose, der Ausbau der öffentlich geförderten Beschäftigung, die Stärkung der inklusiven Bildung und die Stärkung der sozialen Infrastruktur in den Kommunen. Der Abbau der vergangenen Jahre im Bereich der sozialen Infrastruktur, beispielsweise bei den Beratungseinrichtungen oder den Familienzentren, wirke sich jetzt – gerade vor dem Hintergrund der neuen Anforderungen bei der Integration der Zuwanderer – negativ aus. Ein Umsteuern auf Bundesebene bedeute aber auch, dass die Erhöhung von Steuern und Abgaben kein Tabu sein dürfe. „Armutsbekämpfung heißt auch immer Umverteilung“, so Müller.
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