Jahresempfang des Paritätischen brachte zwei junge Syrer wieder zusammen
Neudietendorf, 23. Februar 2016. Sermad Abdul Macid singt und spielt in der Band von Emma Mai. Als der junge Syrer, der jetzt in Weimar lebt, mit den anderen auf dem Weg zum Jahresempfang des Paritätischen in Neudietendorf ist, ahnt er noch nicht, dass ihm an diesem Tag eine ganz besondere Überraschung bevorsteht. Denn Siegfried Gentele, parteiloser Abgeordneter im Landtag, hat auch einen syrischen Bekannten mitgebracht - Mohammed Saab, der seit sieben Monaten in Erfurt lebt. Als die beiden sich in der Krügervilla begegnen, ist die Überraschung und die Freude groß: Sermad und Mohammed liegen sich sofort in den beiden Armen. Denn beide stammen aus Damaskus, sind dort Freunde gewesen, haben sich aber in den Wirren des Krieges dort und der Flucht aus den Augen verloren. Hier in Neudietendorf, in der Krügervilla, feiern sie jetzt ein überraschendes Wiedersehen. Spontan singt Mohammed in der Band von Emma Mai mit, anschließend hocken die beiden Freunde zusammen, haben sich viel zu erzählen. Adressen und Telefonnummern werden ausgetauscht, klar, dass die beiden sich so schnell wie möglich wiedersehen wollen.
Der Neujahrsempfang des Paritätischen hat die beiden Freunde wieder zusammengebracht. „Mitmenschlich denken und handeln“ – so das Motto der Veranstaltung, eines Empfangs, in dem gelingende Beispiele der Integration im Mittelpunkt standen. Wie das Projekt der Weimarer Sängerin Maria Antonia Schmidt, die unter ihrem Künstlernamen Emma Mai Flüchtlingskinder aus dem Weimarer Flüchtlingsheim um sich geschart hat und mit ihnen singt und spielt. „Musik überwindet Grenzen“, so Moderator Hartmut Kaczmarek zu dem Projekt, das bei allen große Anerkennung fand. Die jungen Musiker brachten mit ihren Volksliedern aus Syrien, aber auch ihren deutschen Liedern, richtig Schwung in die Veranstaltung. Es war der vorerst letzte Auftritt der Truppe, wie Maria Antonia Schmidt zum Schluss erklärte. Sie hofft darauf, dass gestellte Förderanträge genehmigt und so eine Weiterführung des Projektes möglich wird. Die syrischen Flüchtlingskinder haben so viel Spaß an der Musik und waren mit solcher Begeisterung bei der Sache, dass alle Anwesenden der Sängerin viel Erfolg bei den Bemühungen wünschten, „Emma Mai und den Habibi-Chor“ weiterleben zu lassen.
Bei der Aufgabe, die soziale und arbeitsmarktpolitische Integration der Geflüchteten in Thüringen zu stemmen, müssen sich Politik und Zivilgesellschaft gegenseitig unterstützen und auch ihre Aktivitäten ausbalancieren. Das unterstrich Sozialministerin Heike Werner (Linkspartei) in ihrem Grußwort bei der Veranstaltung. Für die Aktivitäten der Zivilgesellschaft müsse der Staat die Rahmenbedingungen schaffen, unterstrich Werner, die selbst einmal zivilgesellschaftlich in basisdemokratischen Jugendvereinigungen tätig war, wie si unterstrich. Sie bat die Wohlfahrtsverbände um eine „kritische Begleitung für uns“, denn das Ziel – eine gerechtere Gesellschaft – verbinde sowohl die Politik wie auch die sozialen Organisationen. Werner wies auf die soziale Spaltung der Gesellschaft hin, auf die Zunahme menschenverachtender Ideologien, denen man nur durch mitmenschliches Denken und Handeln begegnen könne. Sie forderte mehr Engagement für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Auch trat sie Vorwürfen aus Reihen der Kritiker der Flüchtlingspolitik entgegen, alle finanziellen Mittel würden nur auf die Flüchtlingsarbeit konzentriert. „Kein einziges Projekt wurde zugunsten der Flüchtlinge gestrichen.“ Man habe vielmehr auf Reserven zurückgegriffen. Wie notwendig soziale Arbeit auch im Bereich der Armutsbekämpfung und des Kampfes gegen die Langzeitarbeitslosigkeit sei, unterstreiche einmal mehr der Armutsbericht des Paritätischen, der am Tag des Jahresempfangs erschienen ist und der Ministerin druckfrisch vom Vorstandsvorsitzenden des Paritätischen, Rolf Höfert, überreicht wurde.
Mit Transparenz und Ehrlichkeit, mit Klarheit und Konsequenz müsse man all jenen entgegentreten und mit ihnen in den Dialog eintreten, die kritische Fragen zur Flüchtlingspolitik stellen. Diesen Appell richtete Landesgeschäftsführer Reinhard Müller an die Politik. Das „Wir schaffen das“ von Kanzlerin Angela Merkel ergänzte Müller mit „Wir schaffen das – aber nicht voraussetzungslos“. Die Bürger mit ihren Sorgen müsse man ernstnehmen, Integrationsverfahren müssten beschleunigt werden. Er forderte eine „Volkswirtschaft der Integration“. Und im Hinblick auf die Flüchtlinge und auf diejenigen, die man auch schon mal „Sorgenbürger“ nennt, sagte Müller: „Diejenigen, die kommen, wollen uns keine Sorgen machen. Sie kommen zu uns, weil sie selbst große Sorgen haben.“ Klare Worte in Richtung AfD und des anwesenden AfD-Landtagsabgeordneten Jürgen Henke hatte zuvor Rolf Höfert in seiner Begrüßung gefunden. „Die AfD bereitet uns mit ihren Aussagen und ihrer Politik große Sorgen und macht uns Angst“, so Höfert. Der Paritätische stelle dem sein Bekenntnis zur Mitmenschlichkeit und zum Dialog entgegen.Gelingende Integration in Thüringen benötigt einige wichtige Voraussetzungen. Eine davon ist eine Verankerung im sozialen Nahraum, eine andere eine intensive Netzwerkbildung. Das machten die beiden Gesprächsrunden beim Jahresempfang klar, in deren Rahmen Susanne Zwiebler vom Deutschen Familienverband und Jürgen Rauschenbach von FAU Sondershausen ihre Vorhaben vorstellten. Am Drosselberg in Erfurt, einer klassischen Plattenbausiedlung, haben sich viele Ehrenamtler unter der Regie des dortigen Family-Clubs aufgemacht, um Flüchtlingen bei ihren ersten Schritten in Deutschland zu helfen. Positiv ist, dass man sich dort auf schon vorhandene und über lange Jahre gewachsene Strukturen stützen kann. Mittlerweile sind auch neun Patenschaften entstanden. Deutsche Familien haben sich der jungen Zuwanderer angenommen und helfen ihnen bei ihrem Neustart, sie begleiten sie zu Ämtern, zeigen ihnen Freizeitmöglichkeiten auf oder zeigen ihnen einfach nur die Stadt oder die Region.
In Nordthüringen haben sich vier Träger in vier Kreisen aufgemacht, Flüchtlingen mit einer guten Bleibeperspektive bei der Arbeitssuche zu helfen. Im Kreis Sondershausen wird das Projekt von der Gemeinnützigen Förderungsgesellschaft Arbeit und Umwelt (FAU) betreut. Je Landkreis stehen 35 Plätze zur Verfügung, so Rauschenbach. Es gibt aber schon etwa 150 Anmeldungen pro Kreis. Mit mehr Geld könnte man auch sehr viel schneller für die arbeitsmarktpolitische Integration der Flüchtlinge sorgen. Der Appell des Paritätischen an die Politik: Wenn die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dann gelingen auch diese und andere zivilgesellschaftliche Projekte, hinter denen so viel Engagement und Herzblut steckt.
Sermad Abdul Macid und Mohammed Saab haben sich unterdessen in einem Nebenraum zusammengefunden. Sie haben sich viel zu erzählen, von ihrer alten Heimat, von der Flucht, von dem Neustart in Deutschland.
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