Samuel Koch bei der Lebenshilfe Leinefelde-Worbis: Angekommen in seinem neuen Leben
Leinefelde/Worbis, 6. Mai 2016. Samuel Koch spricht leise, er wirkt ermüdet. Acht Stunden Autofahrt, davon viele Stunden im Stau, liegen an diesem Tag hinter ihm. Und trotzdem kommt er souverän, an vielen Stellen nachdenklich, an einigen aber auch durchaus humorvoll rüber. Samuel Kochs Leben hat sich von einer Sekunde auf die andere verändert – mit diesem verhängnisvollen Auftritt bei „Wetten dass?“ am 4. Dezember 2010. Den Sprung über die fahrenden Autos hatte er schon tausend Mal geübt, eigentlich, so dachte er, konnte nichts passieren. Dann aber der Sturz, die Diagnose, das Gefesseltsein an den Rollstuhl, vom Kopf ab gelähmt.
Samuel Koch, der frühere Kunstturner, der jetzt im Rollstuhl sitzt, hat sein neues Leben angenommen, er kann offen über die Zeit nach dem Unfall reden, er hat eine neue Perspektive gefunden in dem Beruf als Schauspieler, derzeit engagiert am Staatstheater Darmstadt. Auch wenn er rückblickend sagt, dass es ihm unmittelbar nach dem Unfall schwer gefallen sei, sein neues Leben zu akzeptieren, ein Leben, in dem er fast ständig eine Assistenz an seiner Seite braucht. Aber die Ausstrahlung, diese souveräne Gelassenheit, diese spontane, manchmal auch feine Ironie, dieses Lächeln, das dann um seine Lippen spielt – all das zeigt, dass er mittlerweile in seinem neuen Leben angekommen ist. Die Frage „Wofür sich Leben lohnt?“, die über der neuen Diskussionsreihe der Lebenshilfe Leinefelde-Worbis steht, hat Samuel Koch für sich selbst schon beantwortet.
Ja, es gibt Menschen, für die es sich zu leben lohnt, sagt er. Er nennt Familie, Freunde, sein Arbeitsumfeld, er spricht über seine Freundin, beantwortet mit einem knappen und kurzen „Ja“ auch die Frage, ob er ein „erfülltes Liebesleben“ habe und setzt dabei wieder sein typisches Samuel-Koch-Lächeln auf. Seine Botschaft ist die eines Optimisten, ist die eines Menschen, der nicht mit seinem Schicksal hadert, sondern der es angenommen hat, auch wenn er sich dagegen wehrt, sein Leben in einen Leitspruch wie den „Yes, I can“, pressen zu lassen. „Jeder Leitspruch würde nur mein Leben klein machen, mich unfrei machen, mein Leben in das Korsett einer Sprache zwingen“, sagt er.
Glücksmomente, natürlich gibt es die für Samuel Koch. Das können Kleinigkeiten sein, die wämrende Sonne, ein gutes Gespräch mit Freunden, ein gutes Theaterstück. „Ich freue mich, jeden Tag erleben zu dürfen und sein zu dürfen“, sagt er auf die Frage, was ihn motiviere, morgens aufzustehen. Natürlich wollen die Zuhörer im Eichsfelder Kulturhaus in Heiligenstadt auch wissen, wie es ihm heute geht. Samuel Koch zögert einen Augenblick. Vielleicht denkt er darüber nach, ob er zu einer langen oder kurzen Antwort ansetzen soll. Dann allerdings entschließt er, es bei einem Satz zu belassen: „Im Grunde geht es mir ganz gut.“ Noch immer hat er Schmerzen, aber er hat auch schmerzfreie Phasen gesteht er ein.
Wie er den Schock nach dem Unfall mental verarbeitet habe, will jemand wissen. „Maßgeblich hat mir mein Glaube geholfen“, sagt Samuel Koch und spricht von der „lebenserhaltenden Wirkung“, die dieser Glaube für ihn gehabt habe. Er sagt, er habe lange Zeit zu Gott eine Fernbeziehung gehabt, er habe lange Debatten mit ihm geführt, aber der Glaube habe ihm auch schöne Momente beschert.
Natürlich darf die Frage nicht fehlen, ob er es bereue, bei Wetten dass aufgetreten zu sein? So hat Samuel Koch die Frage noch nie gehört. Natürlich bereue er es im Nachhinein, sagt er und beantwortet gleich die nächste Frage: Ob er es unter den gleichen Umständen wie seinerzeit wieder tun würde? Die Antwort fällt etwas länger aus. Samuel Koch erzählt davon, dass er an dem Gelingen der Sprünge keine Zweifel gehabt habe, dafür habe er viel zu oft geübt. Aber er habe ein bisschen Sorge vor dem Auftritt vor einem Millionenpublikum gehabt, habe im Vorfeld mit einigen Leuten gesprochen, ob er es wirklich machen sollte. „Heute würde ich mehr auf dieses Bauchgefühl hören“, heißt seine Antwort an diesem Abend. Ja, und Kontakt zu Thomas Gottschalk habe er auch jetzt noch.“
Die Schauspielerei, das war schon vor dem Unfall neben dem Turnen seine Leidenschaft, das ist sie auch jetzt noch geblieben. Einer der schönsten Momente nach dem Unfall sei für ihn der tosende Applaus nach seinem ersten Auftritt auf der Bühne im Rollstuhl gewesen, verrät er.
Und dann ist da noch die Frage, was er denn tun würde, wenn seine Behinderung von einem auf den anderen Moment verschwunden wäre? Kurzes Nachdenken, ein feines Lächeln auf den Lippen: „Ich würde aufstehen, mich an einen Baum lehnen, die Rinde spüren, mich ins Gras setzen, die Beine überkreuzen und die Hände hinterm Kopf zusammenlegen.“ Sein Blick ist bei diesen Worten weit in die Ferne gerichtet.