Bundesteilhabegesetz gegen den Widerstand der Wohlfahrtsverbände auf den Weg gebracht
Neudietendorf/Berlin, 2. Juni 2016. Das neue Bundesteilhabgesetz, das jetzt vom Koalitionsausschuss in Berlin auf den Weg gebracht wurde, stößt auf den entschiedenen Widerstand der Sozialverbände. Der Paritätische ist zu der Einschätzung gekommen, dass sich der Gesetzentwurf nicht an den Leitgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention orientiert.
Im Gegenteil: mit den vorliegenden Regelungen werden für Menschen mit Behinderung primär die Sparbestrebungen der Länder und Kommunen umgesetzt, dagegen jedoch nur vereinzelt Verbesserungen für die Betroffenen realisiert.
Stefan Werner, der stellvertretende Direktor der Paritätischen BuntStiftung, wandte sich bei einer Fachtagung des Sozialverbandes schon unmittelbar nach der Vorlage des Referentenentwurfes vehement gegen dieses „Gesetz nach Kassenlage“ und mahnte die Einbeziehung des Sach- und fachverstandes der Sozialverbände an. Er formulierte als Ziel die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an.
Barbara Vieweg vom Jenaer Zentrum für selbstbestimmtes Leben kündigte bei der Fachtagung eine Welle von Protesten der Menschen mit Behinderung an. Sie wollen gegen das neue Bundesteilhabegesetz auf die Straßen gehen, das nach ihrer Einschätzung Verschlechterungen für die Betroffenen statt der erhofften Verbesserungen bringt.
Die Kernpunkte der Kritik des Paritätischen:
Bestehende Selbstbestimmungsrechte von Menschen mit Behinderung werden eingeschränkt statt ausgebaut. So wird beispielsweise kein Rechtsanspruch auf Beratung eingeführt und die Finanzierung der Beratung soll auf fünf Jahre beschränkt werden.
Das Bedürftigkeitsprinzip wird nicht abgeschafft, sondern in neuer Form weitergeführt. „Behinderung darf nicht arm machen“, heißt es in den sechs Kernforderungen des Verbandes zum Bundesteilhabgesetz. Der Paritätische ist sich darin einig mit dem Deutschen Behindertenrat, den Fachverbände für Menschen mit Behinderung, dem Roten Kreuz, dem DGB und der Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen. Denn auch, wenn die Freigrenze bei der Vermögensheranziehung auf 25.000 Euro erhöht wird, kommt es kaum zu Verbesserungen. Denn auf die Heranziehung von Einkommen wird nicht verzichtet, sondern ein neues, kompliziertes, mehrstufiges Verfahren für die künftige Anrechnung eingeführt. Außerdem bleibt die Blindenhilfe mit den bisherigen Regelungen zur Heranziehung von Vermögen und Einkommen in der Sozialhilfe bestehen. Gefordert wird der Verzicht auf die Einkommens- und Vermögensheranziehung.
Die Verwertbarkeit von Arbeitsleistung steht im Vordergrund des Gesetzes. So greifen die Verbesserungen fast ausschließlich für Menschen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt integriert sind oder ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeit erreichen.
Durch das Prinzip „Pflege geht vor Teilhabe“ wird zwischen förder- und nicht förderfähigen Menschen mit Behinderungen unterschieden Mit dem Vorrang der Pflege erfolgt gleichzeitig ein Ausschluss von Eingliederungshilfeleistungen.
Ein deutliches Nein wird zu Leistungskürzungen und Leistungseinschränkungen gesagt. Viele bisher Anspruchsberechtigte drohen beispielsweise aus dem System zu fallen, wenn künftig ein umfassender Unterstützungsbedarf in fünf von neun Lebensbereichen bestehen muss. Notwendige Unterstützung in einzelnen Lebensbereichen wäre dann nicht mehr gewährleistet. Es drohen Einschränkungen bei der sozialen Teilhabe in Bereichen wie Freizeit, Kultur und Ehrenamt, bei gesundheitsbezogenen Teilhabeleistungen, Hilfsmittelversorgung, bei Bildung und Mobilität.
Die Rechte der Betroffenen werden indirekt, beispielsweise über schlechtere finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter, beschnitten. So wird befürchtet, dass die geplante Trennung von existenzsichernden Leistungen und Teilhabeleistungen zu Leistungslücken zulasten der behinderten Menschen führen kann.