Jede dritte Alleinerziehende in Thüringen in Armut: Paritätischer fordert Refoprm des Unterhaltsvorschusses
Berlin/Erfurt, 8. Juli 2016. Die Armut Alleinerziehender ist eines der zentralen Themen auf dem Armutskongress, den der Paritätische gemeinsam mit vielen anderen Organisationen in Berlin veranstaltet. Eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung hat erst in dieser Woche belegt, dass immer mehr Alleinerziehende in Armut geraten. 2,3 Millionen Kinder in Deutschland wachsen nach dieser Studie in einer Ein-Eltern-Familie auf. Ihnen droht häufiger ein Leben in Armut als Gleichaltrigen, die mit beiden Elternteilen zusammen leben. 37,6 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland bezogen 2015 SGB-II-Leistungen, fünfmal so häufig wie Paarhaushalte mit Kindern.
Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden ist nach wie vor sehr hoch; in den vergangenen zehn Jahren hat sich ihre Situation sogar weiter verschlechtert: 42 Prozent bezogen 2014 ein Einkommen, das weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens entsprach. Das sind 6,6 Prozentpunkte mehr als 2005. Bei Paarfamilien ist das Armutsrisiko im selben Zeitraum um 11,7 Prozentpunkte gesunken. Das zeigt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Verfasst haben sie Professorin Anne Lenze (Hochschule Darmstadt) und Antje Funcke (Bertelsmann Stiftung).
Ähnlich ist die Situation in Thüringen: Nach aktuellen Angaben der BA-Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen waren im Jahr 2015 in Thüringen 34 Prozent aller Alleinerziehenden auf Hartz IV angewiesen. Im Jahr 2012 lag die Abhängigkeit noch bei 41 Prozent. Der Leistungsanspruch wächst mit der Anzahl der Kinder. So waren im letzten Jahr 29 Prozent der Alleinerziehenden mit einem Kind auf Hartz IV angewiesen, bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern steigt die Quote auf 48 Prozent. Im ostdeutschen Ländervergleich ist die Hartz-IV-Betroffenheit von Alleinerziehenden in Thüringen am niedrigsten. In Sachsen-Anhalt etwa ist jede zweite Alleinerziehende auf Hartz IV angewiesen.
Ursache für den Leistungsbezug ist nicht allein Arbeitslosigkeit. Im Februar 2016 bezogen 21.900 alleinerziehende Mütter oder Väter Hartz IV. Davon gingen 6.700 einer Beschäftigung nach. Rund 60 Prozent sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, die übrigen haben einen Minijob oder sind selbstständig.
„Alleinerziehende haben es besonders schwer. Job und gleichzeitige alleinige Verantwortung für eine Familie sind große Anstrengungen. Vollzeit und Kindererziehung schließen sich gerade bei Schicht- oder Wochenendarbeit häufig aus“ sagt Markus Behrens, Geschäftsführer der Arbeitsagenturen in Thüringen.
Umfassende Maßnahmen zur besseren Unterstützung und materiellen Absicherung Alleinerziehender und ihrer Kinder fordert der Paritätische Wohlfahrtsverband vor dem Hintergrund dieser Studie. . Notwendig seien eine grundlegende Reform des Unterhaltsvorschusses, gezielte Angebote für Alleinerziehende zur Qualifizierung, Beschäftigungsförderung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, so der Verband.
„Ein Kind alleine großzuziehen gehört nach wie vor zu den größten Armutsrisiken in Deutschland und zwar unabhängig vom Wohnort und dem konkreten wirtschaftlichen Umfeld. Die Armutsquote Alleinerziehender und ihrer Kinder steigt seit Jahren an und liegt bei mittlerweile 42 Prozent und das, obwohl die Mehrheit der Alleinerziehenden durchaus erwerbstätig ist“, erklärt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Es ist höchste Zeit, gerade für diese Familien mehr zu tun, den betroffenen Kindern und ihre Eltern aus der Armut zu helfen und ihnen eine Perspektive zu geben“, fordert Schneider.
Zentraler Hebel sei eine Reform des Unterhaltsvorschusses, der beantragt werden könne, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil nachweislich nicht für den Unterhalt aufkomme. In der Praxis gehe dieser im Moment weitgehend an den Lebensrealitäten Alleinerziehender vorbei. Nach der Bertelsmann-Studie erhielten aktuell 50 Prozent der Kinder Alleinerziehender überhaupt keinen Unterhalt.
Der Paritätische begrüßt die Erklärung von Bundesfamilienministerin Schwesig, eine Reform des Unterhaltsvorschusses vorantreiben zu wollen. Eine solche Reform will auch Thüringens Sozialministerin Heike Werner (Linkspartei) vorantreiben. Der Paritätische spricht sich dafür aus, den Unterhaltsvorschuss sowohl in der Leistungshöhe als auch bezüglich der Bezugsdauer zu überprüfen und entsprechend anzupassen. „Die aktuellen Regelungen sind nicht zeitgemäß. Es ist lebenspraktisch weder nachvollziehbar noch zielführend, wenn der Unterhaltsvorschuss nur für maximal sechs Jahre und nur bis zum zwölften Lebensjahr gezahlt wird“, so Schneider. Darüber hinaus bedürfe es dringend gezielter, maßgeschneiderter Angebote der Beschäftigungsförderung für Alleinerziehende sowie passgenauer Kinderbetreuungsangebote. „Gerade Alleinerziehende brauchen gute und auskömmliche Arbeit und sie brauchen gute und flexible Betreuungsangebote, um dieser Arbeit nachzugehen.“
Die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland war das zentrale Thema des Armutskongresses in Berlin. Diese Entwicklung seu kein Naturereignis, sondern das Ergebnis verfehlter politischer Weichenstellungen in Deutschland, so der Paritätische. .. „Politik muss aktiv werden“, hatte der Vorsitzende des Verbandes, Prof. Rolf Rosenbrock, bereits bei der Vorstellung einer Studie zur sozialen Lage in Deutschland erklärt. „Es ist Zeit zum Handeln“ war denn auch das Motto des Armutskongresses.
Dabei wurde deutlich: Die Bekämpfung der Armut genießt in der Politik nicht den Stellenwert, der ihr eigentlich zukommt. Im Gegenteil: Zahlreiche der jüngsten Gesetzesmaßnahmen drohen die Ungleichheit in Deutschland noch weiter zu verschärfen. Zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit wurden lediglich Maßnahmen im symbolischen Bereich auf den Weg gebracht, das Problem der Altersarmut wurde durch die politischen Weichenstellungen eher noch verschärft, und das Thema der Kinderarmut wurde überhaupt nicht angegangen. „Armutspolitisch ist die Bilanz der Bundesregierung für das Berichtsjahr absolut ungenügend“, bilanzierte Rosenbrock bereits im Vorfeld des Kongresses.
Fünf Schritte sind aus Sicht des Paritätischen zur Armutsbekämpfung in Deutschland vordringlich:
Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit: Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote müssen ausgebaut werden, konsequent am Bedarf der Betroffenen orientiert sein und müssen im Bedarfsfall auch begleitende Hilfen
umfassen.
Anhebung der Grundsicherungsleistungen: Wir brauchen eine bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze auf mindestens 491 Euro. Die Anpassung muss künftig durch eine unabhängige Kommission überprüft werden.
Für Kinder und Jugendliche ist ein eigener Regelsatz zu entwickeln, der ihren Bedarfen gerecht wird. Einmalige Leistungen für besondere Bedarfe müssen wieder übernommen werden.
Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten schaffen: Jedes fünfte Kind in Deutschland, insgesamt 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche, ist von Armut betroffen. Um alle Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung optimal zu
fördern, müssen wir die Kinder- und Jugendhilfe stärken und jungen Menschen einen Rechtsanspruch auf Bildung und Teilhabe verschaffen.
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