Armuts- und Reichtumsbericht: Paritätischer kritisiert Bericht - „Wir brauchen sozial- und steuerpolitischen Richtungswechsel, keine heiße Luft“ - 350.000 Menschen in Thüringen an oder unterhalb der Armutsgrenze
Berlin/Neudietendorf, 12. April 2017. Deutliche Kritik am Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung äußert der Paritätische Wohlfahrtsverband. Das Bundeskabinett hat sich heute mit dem Bericht befasst. Der Verband mahnt dringenden politischen Handlungsbedarf an. Der neue Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belege zwar faktenreich die zunehmende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen. Zu deren Bekämpfung biete er jedoch nur ein „Sammelsurium von Konjunktiven“.
Wie dringlich eine konsequente Bekämpfung der Armut in Deutschland ist, zeigen folgende Thüringer Zahlen: Mehr als 350.000 Menschen in Thüringen leben an oder unterhalb der Armutsgrenze, so der diesjährige Armutsbericht des Paritätischen. Besonders betroffen vom Risiko, in Armut zu geraten, sind Erwerbslose, Alleinerziehende und RenterInnen. In Thüringen erhielten 7197 Alleinerziehende 2014 Arbeitslosengeld, davon waren 2920 zwölf Monate oder länger arbeitslos. Im Bereich der Altersarmut haben 2015 bereits 5354 Menschen Grundsicherung im Alter bezogen. Ein erheblicher Anstieg werde künftig durch unterbrochene Erwerbsbiographien, niedrige Löhne und Rentenreformen verursacht, so die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Landtag, Karola Stange.
.„Der Umfang der sozialen Polarisierung steht in einem krassen Gegensatz zu den nun veröffentlichten Plänen und angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung. Es wird nicht erkennbar, dass die Bundesregierung Armut entschieden bekämpfen will“, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. „Wir brauchen einen sozial- und steuerpolitischen Richtungswechsel, keine heiße Luft“.
Der Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiere beispielsweise, dass 84 Prozent der Bevölkerung zwischen 2010 und 2015 eine Zunahme von Armut festgestellt hätten und dass in der Vergangenheit auch Kinderarmut und Ungleichheit gewachsen seien. Die Bundesregierung formuliere in ihrer erstmals veröffentlichten Schlussfolgerung dennoch nur wenige, unzusammenhängende Vorschläge dagegen.
Der Paritätische forderte deshalb ein Gesamtkonzept gegen Armut und Ausgrenzung, für sozialen Zusammenhalt. „Die Bundesregierung ist aufgefordert, verbindliche Ziele und Maßnahmen zum Abbau von Armut und sozialer Ungleichheit zu formulieren. Stückwerkpolitik hilft nicht “, betont Schneider. Zwingende Voraussetzung für eine effektive Armutsbekämpfung sei eine solidarische Steuerpolitik. „Wer den Leuten weismachen will, Armutsbekämpfung bekäme man zum Nulltarif, streut Sand in die Augen“, so Schneider.
Schon zuvor hatte der Paritätische gemeinsam mit anderen Sozialverbänden kritisiert, dass zentrale Aussagen aus einem ersten Entwurf des Berichts gestrichen worden seien. So blieb bei den Ressortabstimmungen beispielsweise das Unterkapitel „Einfluss von Interessenvertretungen und Lobbyarbeit“ ganz auf der Strecke. Es entfielen auch die theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Armut, Reichtum und repräsentativer Demokratie.
Heftige Kritik am Armuts- und Reichtumsbericht gibt es auch in den Medien. So heißt es in einem Text bei „Zeit online“: Die Bundesregierung nutze den Bericht dazu, „den Wählern ihre bisherige Politik als Erfolgsgeschichte zu verkaufen und Sand in die Augen zu streuen, statt ehrlich die vorhandenen Probleme aufzulisten.“ Der Bericht dokumentiere, dass die soziale Ungleichheit in Deutschland wächst, „ohne dass die Entscheidungsträger des Staates dies als Kardinalproblem der Gesellschaft wahrzunehmen oder zu bekämpfen bereit sind“.
Den vollständigen Text von „Zeit online“ können Sie hier nachlesen:
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-04/armutsbericht-grosse-koalition-schoenung-kritik
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