Hartz IV: Paritätischer fordert menschenwürdige Neuausrichtung der Grundsicherung für Arbeitslose und Regelsatzanhebung auf 571 Euro
Neudietendorf/Berlin, 26. April 2018. Mit einem „Konzept zur Neuausrichtung der Grundsicherung für Arbeitslose“ mischt sich der Paritätische Wohlfahrtsverband in die aktuelle parteiübergreifende Debatte zur Überwindung von Hartz IV ein. Der Verband fordert einen konsequenten Paradigmenwechsel, der mit dem negativen Menschenbild, das dem System Hartz IV zu Grunde liege, bricht, und Respekt und die Würde des Menschen in das Zentrum des
Hilfe- und Unterstützungssystems für Arbeitslose rückt. In Thüringen beziehen derzeit etwa 150.000 Menschen Hartz IV-Leistungen. 28.000 Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher wurden 2017 von den Jobcentern verhängt. Jedes siebte Kind in Thüringen ist auf Hartz IV-Leistungen angewiesen.
Insgesamt elf konkrete Reformmaßnahmen schlägt der Paritätische vor, die von einer Stärkung der Arbeitslosenversicherung, über die Abschaffung von Sanktionen und den Ausbau von Qualifizierungs- und öffentlichen Beschäftigungsangeboten bis hin zu einer Anhebung der Regelsätze auf ein menschenwürdiges Niveau reichen. Nach einer aktuellen Expertise der Paritätischen Forschungsstelle ist dafür eine Anhebung der Regelsätze für Erwachsene auf 571 Euro (statt derzeit 416 Euro) erforderlich. Darüber hinaus fordert der Verband die Einführung einer existenzsichernden Kindergrundsicherung.
Hartz IV sei gefloppt, konstatiert der Paritätische. Zwar sei mit guter Konjunktur und entsprechend guter
Arbeitsmarktlage über die Jahre die Zahl der offiziell gezählten Langzeitarbeitslosen zurückgegangen,
42 Prozent der Langzeitarbeitslosen sei jedoch schon länger als vier Jahre im Bezug und über eine Million
Menschen bereits seit Einführung des Systems auf Leistungen angewiesen. Die faktische Vermittlungsquote
der Arbeitsverwaltung bei arbeitslosen Hartz IV-Beziehern liege bei lediglich etwa fünf Prozent.
Die Regelleistungen schützten zudem in keiner Weise vor Armut. Entsprechend gering sei die Akzeptanz in der Bevölkerung.„Hartz IV steht in der Bevölkerung längst nicht mehr für Hilfe. Hartz IV wird heute ganz überwiegend
als ein System wahrgenommen, das im besseren Fall von Tristesse und im schlechteren Fall von Sanktionierungen gekennzeichnet ist“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.
Der Verband fordert vor diesem Hintergrund unter dem Motto „Hartz IV hinter uns lassen“ eine konsequente Neuausrichtung der Grundsicherung für Arbeitslose. „Es ist Zeit, zu brechen mit der misanthropischen
Grundhaltung und dem negativen Menschenbild der Hartz-Gesetze, mit dem der Sanktionsapparat, aber
auch die unter der Armutsgrenze liegenden Geldzuwendungen begründet werden“, so Ulrich Schneider.
Der Leitsatz des Förderns und Forderns sei mit Blick auf die Realitäten nur noch ein Euphemismus. „Kompass
für Reformen muss der Respekt vor dem Mittel- und Arbeitslosen und seinen Angehörigen sein. Menschenwürde
und Individualität statt Massenverwaltungstauglichkeit, Hilfe statt Strafe sind die Leitlinien, an denen
sich echte Reformen der Grundsicherung für Arbeitssuchende orientieren müssen.“
Notwendig seien u.a. eine Stärkung der Arbeitslosenversicherung und der Umbau der Arbeitsförderung von
dem bisherigen Sanktionssystem zu einem echten Hilfesystem. Der Paritätische fordert in seinem Elf-Punkte-
Programm dazu unter anderem die Abschaffung der Sanktionen, den massiven Ausbau von Qualifizierungs-
und Arbeitsfördermaßnahmen sowie den Aufbau eines sozialen Arbeitsmarktes. „Nur indem wir den
Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen und ihn in seinen individuellen Fähigkeiten, aber auch in seinem
individuellen Unvermögen annehmen, kann es uns gelingen, ein System zu schaffen, das von Respekt
und Rücksicht geprägt ist und zugleich Potentiale von Menschen zu entdecken und zu fördern in der Lage
ist“, so Schneider.
Darüber hinaus fordert der Paritätische als Sofortmaßnahme die Erhöhung der Regelsätze
um 37 Prozent und die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die sich mit der Frage des Mindestbedarfes
von Menschen und seiner Bemessung in grundlegender Weise auseinandersetzt. Die Neuausrichtung
der Grundsicherung müsse zudem zwingend mit der Einführung einer allgemeinen existenzsichernden Kindergrundsicherung verknüpft werden.
Mehr zu den Vorschlägen des Paritätischen:
http://www.der-paritaetische.de/presse/neuausrichtung-der-grundsicherung-und-regelsatzanhebung/