Menschen mit Behinderung stoßen bei der Wohnungssuche oft an Grenzen – Thüringen braucht weitere gemeinsame Anstrengungen aller Akteure
Neudietendorf, 1. Juni 2018. Für Thorsten Hanke und Jessica Endlich steht fest: Sie wollen mittelfristig in einer eigenen Wohnung leben. Derzeit wohnen sie noch im Wohnheim des Lebenshilfe-Werks in Apolda. Aber sie wollen so schnell wie möglich sich auf eigene Füße stellen, in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Dass das gar nicht so einfach werden könnte, das zeigte jetzt ein Fachtag des Paritätischen, der von der Glücksspirale unterstützt wurde. Dabei ging es um das Thema „Wohnen für alle – auch für Menschen mit Behinderung?“ Unser Bild zeigt bei der abschließenden Diskussionsrunde Stefan Werner, Landesgeschäftsführer des Paritätischen, Rola Zimmer, Geschäftsführerin des Lebenshilfe-Werks Weimar/Apolda und Ina Riehm vom Thüringer Sozialministerium (von links)
Menschen mit Behinderung stoßen oft bei der Suche nach einer eigenen Wohnung an Grenzen. Da geht es zum einen um fehlenden bezahlbaren Wohnraum, es gibt Barrieren – nicht nur baulicher Art, sondern auch in den Köpfen von potenziellen Vermietern und Nachbarn. Wohnraum muss häufig durch die Träger der Eingliederungshilfe angemietet werden, die dadurch in eine schwierige Rolle als Vermieter und Dienstleister kommen, wie die Geschäftsführerin des Lebenshilfe-Werks Weimar/Apolda, Rola Zimmer, bei der Tagung verdeutlichte.
„Wir können viele Projekte nur umsetzen, weil das Lebenshilfe-Werk als Zwischenmieter auftritt.“
Dabei ist es das ausdrückliche Ziel des Bundesteilhabegesetzes, mehr Angebote zu schaffen, durch die Menschen mit Behinderungen ein möglichst selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung führen können. „Es ist notwendig, das Recht auf selbstbestimmtes Wohnen durchzusetzen“, unterstrich der Landesgeschäftsführer des Paritätischen, Stefan Werner. Denn es sei das erklärte Ziel des Bundesteilhabegesetzes, stationäre Einrichtungen durch flexible Wohnformen zu ersetzen. „Es ist eine Frage der Köpfe und der Haltung“, unterstrich Werner und nahm dabei vor allem die Vermieter und die Nachbarn ins Visier.
Sylvia Engel aus Weimar ist auf den Rollstuhl angewiesen. Sie machte eindrucksvoll klar, wie schwierig es ist, angemessenen barrierefreien Wohnraum zu finden. Vier Jahre, so erzählte sie, habe sie gebraucht, um eine geeignete barrierefreie Wohnung zu finden. Außer barrierefrei zugänglichen Räumen zählen für sie aber auch noch andere Parameter, wie eine gute Infrastruktur, eine ausreichende Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und ein beständiges soziales Umfeld.
Mit besonderem Interesse wurden bei der Tagung die praktischen Probleme der Wohnungswirtschaft wahrgenommen. Friedrich Hermann von der Kowo Erfurt hat sich mit seiner Wohnungsgesellschaft schon lange diesen Herausforderungen gestellt. Die Kowo wurde auch für ihr soziales Engagement mit dem Preis soziale Stadt im Jahr 2014 ausgezeichnet. „Thüringen hat kein Wohnungsproblem, sondern ein Einkommensproblem“, brachte er aus seiner Sicht die Problematik auf den Punkt. Einige der wichtigsten Herausforderungen, vor der die Wohnungsunternehmen stehen, sind aus seiner Sicht: die Kosten für einen Umbau im Vergleich zur Miete, die Mieten steigen nicht proportional zu den Kosten. Hermann beklagte auch eine mangelnde Unterstützung der Wohnungswirtschaft, um den Bestand adäquat zu erhalten. Auch der Bedarf an sozialer Betreuung wachse, werde aber nicht ausreichend finanziert. Er regte an, die Finanzierung von Sozialarbeiterstellen über Förderprogramme zu regeln.
Wie das Einkommensproblem zum Problem für die Wohnungsunternehmen wird, machte Cordula Wiegand, die Geschäftsführerin der Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft Saale deutlich: 40 Prozent der Mieterinnen und Mieter verfügen über ein Nettoeinkommen bis 1000 Euro, nur 19 Prozent über ein Einkommen von mehr als 2000 Euro. Elf Prozent der Mieter erhalten staatliche Sozialleistungen. „Trotzdem stecken wir natürlich den Kopf nicht in den Sand“ unterstrich Wiegand. Aber: „Sozialarbeiter in unseren Objekten können wir uns einfach nicht leisten.“ Hier würde staatliche Unterstützung weiterhelfen. Auch Wiegand steht vor dem Dilemma, dass die Wirtschaftlichkeit immer wieder durch nicht erzielbare Mieten in Frage gestellt wird. Sie beklagte auch das Fehlen einer Landesentwicklungs-Strategie, die der tatsächlichen Situation angemessen sei.“ Konkret heißt das: „Die Förderpolitik sollte an den Realitäten der Wohnungswirtschaft orientiert sein.“
Am Ende des Fachtages war den Teilnehmenden klar: Wohnen ist mehr als nur eine Wohnung haben. Es braucht nicht nur ein barrierefreies Bauen, sondern ein barrierefreie Denken. Und es braucht gemeinsame Arbeitsallianzen von Politik, Verwaltung, Wohnungswirtschaft, sozialen Trägern und Akteuren in der Gesellschaft, um mehr Wohnraum für Menschen mit Behinderungen zu schaffen und zu erhalten. Der Fachtag hat dazu weitere Anstöße gegeben, an denen die Beteiligten jetzt weiterarbeiten wollen.
In den Anhängen finden Sie die Dokumentation zur Tagung
Tags: Bundesteilhabegesetz, Inklusion