Interview mit Vorstandsvorsitzenden Rolf Höfert: Die Menschenwürde als Kompass
Höfert Rolf nach seiner Wiederwahl bei der Mitgliederversammlung im Herbst 2019; Foto: Frank DiehnThüringen hat gewählt. Einer neuen Landesregierung stehen große Herausforderungen bevor. Und auch beim Paritätischen Thüringen wählten die Mitgliedsorganisationen einen neuen Vorstand. Im Gespräch mit dem wiedergewählten Vorstandsvorsitzenden Rolf Höfert blicken wir auf die Ziele des Vorstandes in den kommenden Jahren, seine Wünsche für Thüringen und Forderungen an die Landespolitik.
Herr Höfert, zunächst herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl zum Vorstandsvorsitzenden des Paritätischen Thüringen.
Vielen Dank. Ich freue mich über die Wiederwahl und darauf, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Vorstandes die Arbeit des Paritätischen Thüringen auch in den nächsten vier Jahren zu begleiten und die Verantwortung zu tragen.
Damit verbunden auch gleich die Frage: Welche Ziele haben Sie für den Paritätischen für Ihre nächste Legislatur?
Unsere Vision ist ein noch besseres und menschliches Thüringen. Hier wollen wir an die erfolgreichen Ansätze der vergangenen vier Jahre anknüpfen und aus den nicht so erfolgreichen Ansätzen lernen. Bei vielen Aspekten sind wir momentan in einer Situation, wo schon viel auf den Weg gebracht wurde. Nun stehen viele Feinjustierungsarbeiten an. Nehmen wir zum Beispiel das Bundesteilhabegesetz. Hier gilt es, den im vergangenen Jahr verabschiedeten Rahmenplan zunächst zu verwirklichen und dabei immer wieder die notwendigen Nachbesserungen im Blick zu behalten. Konkret bedeutet dies, kontinuierlich auf die aktuellen Bedarfe bei der Etablierung eines modernen Teilhaberechtes zu reagieren. Auch im Bereich der Kindertagesstätten und Kinderbetreuung müssen wird die richtigen Weichen stellen. Derzeit verfügen wir über die entsprechenden finanziellen Mittel. Wir müssen diese gut einsetzen. Hier denke ich in erster Linie an geeignete Fachkräfte. Da ist dringend nachzubessern.
Und wie steht es um Ihr Steckenpferd, die Pflege?
Bei der Pflege brennt es in allen Versorgungsbereichen – mit Engpässen in Krankenhäusern, Altenpflegeheimen und in der ambulanten Pflege. Wir beobachten wie sich immer mehr Leiharbeitsfirmen breitmachen. Sie unterbrechen die Souveränität in den Betrieben, heißt die Leiharbeitenden arbeiten zu ihren Wunschbedingungen und profitieren von der personellen Notlage der Einrichtungen. Die Verbliebenen vor Ort wiederum müssen zuweilen die unbeliebteren Schichten übernehmen oder sind finanziell schlechter gestellt. Darunter leidet nicht nur die Motivation. Leiharbeit ist kein tragfähiges Konzept für einen solch sensiblen Bereich wie die Pflege. Wir brauchen eine Fachkräfteoffensive. Dazu braucht es auch, eine bessere Willkommenskultur für Fachkräfte aus anderen Ländern und ein schnelleres Genehmigungsverfahren. Ein weiteres Thema ist die notwendige Reform der Pflegeversicherung. Es ist ein Skandal, dass die Pflegebedürftigkeit für die Betroffenen selbst oder für deren Angehörige ein Armutsrisiko darstellt. Daher fordern wir schon seit langem, den Eigenanteil bei der Finanzierung der Pflege auf maximal 15 Prozent zu begrenzen. Und ein letztes Thema fällt mir ein: die neue, generalistische Pflegeausbildung. Sie stellt die Einrichtungen vor Herausforderungen. Eine angehende Pflegefachkraft muss dann innerhalb von zwei Jahren alle Fachbereiche kennenlernen. So müssen alle, die in der Kinderkrankenpflege tätig werden möchten, auch die Arbeit im Altenheim kennenlernen und umgekehrt. Für die Einrichtungen bedeutet dies, Kooperationspartner zu finden und entsprechende Kapazitäten vorzuhalten.
Wie bringt sich der Paritätische hier ein?
Insbesondere mit unserem Referat Pflege. Im vergangenen Jahr brachten wir mit einem Forum zum Pflegeberufegesetz Ausbildungseinrichtungen zusammen, informierten zum Stand der Umsetzung, diskutierten mögliche Kooperationsformen und notwendige Inhalte in den Curricula. Diese Idee aufgreifend führte dann im Herbst vergangenen Jahres das Thüringer Sozialministerium in fünf Regionen Thüringens eine ähnliche Veranstaltung durch, um über die aktuellen Entwicklungen zu informieren. Das Referat unterstützt unsere Mitgliedsorganisationen, um den ersten Jahrgang der neuen Ausbildung auf einen guten Weg zu bringen.
Thüringen ist überwiegend ländlich geprägt. Welche Maßnahmen braucht es, um den Freistaat insgesamt zu einem lebenswerten Ort zu machen?
Es braucht zukunftsfähige Konzepte, um den ländlichen Raum als Lebens-, Kultur- und auch Wirtschaftsraum attraktiv zu gestalten. Dazu gehört an erster Stelle eine entsprechende Infrastruktur. Hier sind innovative Mobilitätskonzepte gefragt. Außerdem müssen Dinge des täglichen Bedarfs, wie etwa der Erwerb von Lebensmitteln oder die medizinische Versorgung gut erreichbar sein. Und es geht um Teilhabe und Lebensqualität. Die Menschen im ländlichen Raum dürfen sich nicht abgeschnitten fühlen. In Thüringen gibt es bereits gute Ideen, wie etwa Dorfkümmerer. Vieles wird auch ehrenamtlich geleistet. Das Ehrenamt kann jedoch nicht alles schultern. Hier braucht es Unterstützung und auch die finanziellen Ressourcen.
Blicken wir noch auf die Landtagswahlen. Die AfD hat auch in Thüringen Wähler gewonnen – was braucht es aus Ihrer Sicht für einen Umgang damit?
Unser Kompass ist und bleibt die Menschenwürde und die gilt für alle gleichermaßen. Wir treten entschieden allen unmenschlichen Agierens und öffentlichen Äußerungen entgegen. So sind etwa Anfragen im Bundestag hinsichtlich statistischer Erhebungen über behinderte Menschen und deren Kosten im Sozialversicherungssystem, wie sie von der AfD gestellt wurden, schlichtweg nicht mit unserem Menschenbild vereinbar. Im politischen Diskurs müssen wir uns mit der AfD auseinandersetzen und werden dies auch tun. Gleichzeitig setzen wir auf die demokratischen Parteien und darauf, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Perspektiven und damit verbundenen Schwierigkeiten Thüringen und die Menschen im Freistaat in den Mittelpunkt stellen. Als Paritätischer werden wir wie bisher auch die Probleme offen ansprechen, unsere Analysen zu sozialpolitischen Aspekten kommunizieren und uns in den Diskurs einmischen. Dort wo notwendig, formulieren wir unsere Forderungen nicht als zaghaften Wunsch, sondern als dringende Notwendigkeit. Vorhin sagte ich bereits einmal, es sei wichtig, dass sich die Leute nicht abgehängt fühlen. Hier geht es vor allem auch darum, dass wir uns nicht nur um die Schreienden kümmern, sondern uns auch für die Stillen engagieren. Es gibt eine schweigende Armut. Da ist viel Scham, Traurig- und Ratlosigkeit. Und in dieser stillen und abgeschirmten Armut leben Kinder. Hier wollen wir ermutigen, diese transparent zu machen, um den Kindern entsprechende zusätzliche finanzielle Mittel zu ermöglichen. Es geht um mehr als um saubere und satte Kinder. Sie sollen die Möglichkeit der Entwicklung haben. Dafür müssen sie am Alltagsgeschehen eines Kindes in den entscheidenden Jahren, etwa im Sportverein oder der Musikschule, teilnehmen können. Nur so kann es gehen, denn die heutigen Kinder mit Armutsbiographie gehen traumatisiert als Erwachsene von morgen in die Welt. Wir werden uns weiterhin für eine offene und tolerante Gesellschaft einsetzen, in der allen Menschen Teilhabemöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Sie blicken dennoch positiv in die Zukunft?
In jedem Fall. Davon unbenommen: Wir erleben derzeit Strömungen, die eine andere, eine nationalistisch-geprägte Gesellschaft wollen, wo die Abstammung, nicht der Mensch in seiner Würde zählt. Das gibt uns durchaus Anlass zur Sorge und sollte von uns allen nicht „auf die leichte Schulter“ genommen werden. Dennoch, wir haben etwas entgegenzusetzen. Ein Gesellschaftsbild, das alle Menschen in den Blick und ernst nimmt, auch die Menschen, die sich abgehängt fühlen. Und wir haben die Fähigkeiten und das Wissen, leere Wordhülsen, hinter denen sich letztlich nationalistische Gedanken verstecken, offenzulegen. Sicherlich, wir allein können nicht alles lösen, nicht jede Ungerechtigkeit beseitigen und sind nicht gefeit davor, auch Fehler zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass wenn unsere Werte offen, vielfältig und tolerant die Leitplanken für unser tägliches Tun sind, wir an vielen Stellen dazu beitragen können, unsere Gesellschaft und Miteinander ein kleines Stück sozialer zu gestalten.
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