Die Konstruktion der Pflegeversicherung wird den heutigen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Die Pflegeversicherung verfehlt zunehmend ihr originäres zentrales Ziel - die Verhinderung von pflegebedingter Sozialhilfeabhängigkeit - und damit ihre Legitimation. Mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass das Risiko, im Falle von Pflegebedürftigkeit von Armut betroffen zu sein, immer weiter steigt.
Wir fordern daher eine solidarische Pflegevollversicherung, die alle pflegebedingten Kosten übernimmt – unabhängig davon, ob es sich um stationäre, teilstationäre oder ambulante Pflege handelt. Sämtliche durch einen unabhängigen pflegerischen-medizinischen Dienst für bedarfsgerecht erachtete Pflegeleistungen müssen in vollem Umfang und ohne Eigenanteile vollständig von den Kassen finanziert werden.
Pflegebedürftigkeit ist inzwischen ein echtes Armutsrisiko geworden: Immer weniger Menschen können sich die eigene Pflege leisten. Die Eigenanteile für vollstationäre Pflege haben sich im vergangenen Jahr um 13 Prozent erhöht und sie steigen weiter. Inzwischen ist fast ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen auf Sozialhilfe angewiesen. Für Pflegebedürftige, die bis zu zwölf Monate im Pflegeheim versorgt wurden, fallen ab Mitte 2023 im Durchschnitt rund 2.700 Euro an, die aus eigener Tasche aufzubringen sind. Diese beinhalten Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionskosten einerseits und Pflege- und Ausbildungskosten andererseits. Das liegt deutlich über dem durchschnittlichen Einkommen älterer Menschen. Die Eigenanteile für ambulante Pflege werden nicht systematisch erfasst. Zur Vermeidung einer finanziellen Überforderung wird allerdings, so zeigt die Praxis, notwendige Pflege nicht in Anspruch genommen, wodurch Unterversorgung entsteht.
Eine langfristig wirksame, tragfähige und für alle verlässliche Lösung bietet einzig eine Vollversicherung in der Pflege: Wenn alle pflegebedingten Kosten künftig von der Pflegeversicherung übernommen und die Ausbildungskosten als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aus Steuermitteln finanziert würden – wie im Koalitionsvertrag vereinbart, halbierten sich die von den Pflegeheimbewohner*innen selbst aufzubringenden Kosten. Das wäre für eine große Mehrheit finanziell leistbar.
Die Umsetzung einer Pflegevollversicherung ist eine Frage des politischen Willens. Berechnungen haben gezeigt, dass beispielsweise mit der Einführung einer Bürgerversicherung eine Pflegevollversicherung problemlos zu finanzieren wäre. Insgesamt muss ein großes Stück mehr an Gerechtigkeit hergestellt werden.
Die Bundesregierung hat bisher noch keine wirklichen Lösungsvorschläge präsentiert. Deshalb sind pflegebedürftige Menschen weiter von stark steigenden Kosten bedroht. Sie müssen Armut fürchten oder auf Pflege verzichten, weil sie es sich nicht leisten können.
Wir fordern die Bundesregierung dringend zum Handeln auf: Schaffen Sie die volle Absicherung pflegebedingter Kosten über die Pflegeversicherung!