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OECD-Bildungsstudie: Jeder sechste deutsche Erwachsene liest wie ein Zehnjähriger

Die Pisa-Studie blamierte Deutschland, jetzt zeigt sich: Auch der Bildungsstand Erwachsener ist hierzulande nur Mittelmaß. Erstmals untersuchte die OECD die Lese-, Rechen- und Problemlösekompetenzen der 16- bis 65-Jährigen in 24 Industrieländern - mit zum Teil erschreckenden Ergebnissen.

Mit Fragen wie diesen könnte jeder Erwachsene im Alltag konfrontiert werden: Da ist zum Beispiel die Liste mit Kindergartenregeln, neun an der Zahl, eine von ihnen lautet "Bitte sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind bis 10 Uhr hier ist." Die Frage dazu lautet: "Um welche Uhrzeit sollten die Kinder spätestens im Kindergarten eintreffen?" Oder das Thermometer, auf dem sowohl die Gradzahlen in Celcius als auch in Fahrenheit angegeben sind. "Welche Temperatur zeigt das Thermometer in Grad Fahrenheit an?", lautet die dazugehörige Frage.

Ist doch klar, könnte man denken. Kein Problem. Viele erwachsene Menschen in Deutschland haben jedoch Probleme mit solchen Fragen. Das zeigt eine neue Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die am 08.10.2013 vorgestellt wurde. Die PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) untersuchte erstmals das Alltagswissen von Erwachsenen im Vergleich.

Deutschland liegt in den abgefragten Bereichen im Mittelfeld, mal unter, mal knapp über dem Durchschnitt. Der Studie zufolge liest und rechnet eine "bedeutende Minderheit" der Deutschen sehr schlecht. Zudem können sehr viele nicht vernünftig mit dem Computer umgehen. Am besten schnitten fast immer Japan und Finnland ab. Auf den schlechtesten Plätzen landeten zumeist Italien und Spanien.

Rund 166.000 repräsentativ ausgewählte Erwachsene im Alter von 16 bis 65 Jahren aus 24 Ländern und Regionen nahmen an der PIAAC-Studie teil, darunter die USA, Russland, Australien und viele europäische Staaten. In Deutschland wurden 5465 Personen befragt. Der Test wurde unter anderem von Andreas Schleicher, Bildungsforscher und Koordinator bei der OECD, entwickelt und wird deshalb auch als Pisa-Test für Erwachsene bezeichnet.

Die Ergebnisse im Überblick

  • Lesekompetenz: Beim Verstehen, Interpretieren und Bewerten von Texten erreichten die deutschen Teilnehmer leicht unterdurchschnittliche Werte und landeten auf Platz 15 von 23. Die höchste Kompetenzstufen (4 und 5) erzielten 10,7% der deutschen Testpersonen, der OECD-Schnitt liegt bei 11,8%. Auf Stufe 1 oder niedriger landen 17,5% der Menschen in Deutschland (OECD-Durchschnitt 15,5%). Diese Stufe entspricht laut OECD dem Niveau eines zehnjährigen Kindes: Die Befragten sind maximal in der Lage, kurze Texte mit einfachem Vokabular zu lesen und ihnen in stark begrenztem Maße Informationen zu entnehmen. Das beste Leseverständnis nach dieser Auswertung haben die Menschen in Japan und Finnland. Auf den letzten Plätzen landen Spanien und Italien.
  • Rechenkompetenz: Alltagsaufgaben, die mathematisches Verständnis erfordern, haben Deutsche etwas besser gelöst als die internationale Vergleichsgruppe: 14,2% erreichten in Deutschland die Stufen 4 und 5 (OECD: 12,5%). Aber auch in diesem Feld liegt jeder Sechste(18,5% der deutschen Testpersonen) auf absolut niedrigem Niveau (Stufe 1 oder niedriger): Über einfaches Zählen, Sortieren und die Verwendung der Grundrechenarten kommt diese Gruppe nicht hinaus (OECD-Durchschnitt auf der Stufe 1 oder niedriger: 19%). Die besten Ergebnisse erzielten auch hier Japan und Finnland, und Italien und Spanien landeten erneut auf den letzten Plätzen.
  • Problemlösekompetenz: Alltagsfragen mit Hilfe des Computers und digitaler Technik zu lösen, bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten. Ein hoher Anteil der Erwachsenenbevölkerung in Deutschland verfügt über geringe Kompetenzen bei der Beschaffung, Analyse und Übermittlung von Informationen mit Hilfe geläufiger Computeranwendungen. Rund zehn Prozent der deutschen Testpersonen haben keinerlei Erfahrung mit Computern oder scheitern an grundlegenden Anforderungen - sie können zum Beispiel keine Maus bedienen. Die meisten können nur mit vertrauten Anwendungen umgehen. Lediglich ein Drittel (36%) der deutschen Erwachsenen schaffte komplexere Aufgaben, wie das Navigieren über Webseiten und die eigenständige Problemlösung.

Das Alter entscheidet: Jüngere Erwachsene schneiden fast überall besser ab als die ältesten Testteilnehmern ihres Landes. Auch in Deutschland ist der Abstand zwischen der jüngsten und der ältesten Gruppe beträchtlich. Die besten Leistungen verzeichnen hierzulande, wie fast überall, die 25- bis 34-Jährigen. Die schlechtesten Ergebnisse erreichten die 55- bis 64-Jährigen.

Deutschlands größte Schwäche ist jedoch - wieder einmal - die Chancenungerechtigkeit: In kaum einem anderen Land hängt die Lesekompetenz so sehr vom Bildungsstand der Eltern ab wie hierzulande: Testpersonen, deren Eltern weder Abitur noch Berufsausbildung haben, erzielten durchschnittlich 54 Punkte weniger als jene, bei denen mindestens ein Elternteil einen (Fach-)Hochschulabschluss oder einen Meisterbrief vorweisen kann. Nur in den USA ist dieser Abstand noch größer.

Befragt wurden Erwachsene, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung in dem Teilnehmerland lebten, unabhängig von Staatsangehörigkeit oder Muttersprache. Der Test erfolgte in der Amtssprache des entsprechenden Landes, bei den Teilnehmern zu Hause, je nach Computerkenntnissen an einem Laptop oder in gedruckten Testheften. Der Stichprobenumfang reichte von etwa 4500 bis 27.000.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris führt alle drei Jahre auch die bekannten weltweiten Pisa-Untersuchungen bei 15-jährigen Schülern durch. Die Veröffentlichung des ersten Tests 2001 hatte erhebliche Wissenslücken unter den Schülern in Deutschland offenbart und in der Öffentlichkeit den sogenannten Pisa-Schock ausgelöst. Die Folge waren zahlreiche Schulreformen.

Quelle: http://www.spiegel.de

Zur Studie:

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